Mein persönlicher Schmerzverlauf

Mein persönlicher Schmerzverlauf

Annett_Reist stellt sich vor und hat noch Fragen

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    Guten Tag,
    vermutlich haben einige von euch schon etwas Ähnliches geschrieben oder gefragt und ich bitte um Nachsicht, wenn euch das alles bekannt vorkommt.

    Damit ihr nicht den ganzen Text lesen müsste, stelle ich meine Fragen hier noch mal hin: Ist es normal, dass man Botox, Metoprololsucc. 23,75 (morgens und abends) und abends Amineurin 35 mg braucht, um halbwegs schmerzfrei zu sein?
    Ist es normal, dass die Schmerzen mit den Medikamenten immer schlimmer werden?

    Ich habe seit Ende November 2014 dauerhaft Kopfschmerzen = chronische Migräne (gesichert). Seit 2010 habe ich immer wieder chronische Spannungskopfschmerzen gehabt, habe wegen Autounfällen drei Schleudertraumata gehabt und seit meinem Umzug ins Ruhrgebiet August 2011 sind meine Attacken immer häufiger gekommen und ich habe immer mehr Medikamente genommen.

    Ende Nov. 2014 hatte ich (wie immer) starke Menstruationsbeschwerden – allerdings waren sie diesmal so stark, dass ich eine AU für einen Tag brauchte. Das habe ich so noch nie erlebt. Einen Tag später bekam ich eine harmlose Virusinfektion, die mich total umgehauen hat. Ich war extremst erschöpft und konnte fast nichts mehr tun. Im SS war ich neben meinem Ganztagsjob an einer Fernuni eingeschrieben, weil ich mich bei der Arbeit zunehmend unterfordert fühlte und auch nicht erkennen konnte, dass mich die Arbeit weiterbringt. Ich war von den Prüfungen schon noch ziemlich erschöpft. Mit diesen Unterleibsbeschwerden und der Virusinfektion fingen die KS/Migräne an. Als mehrere Wochen ins Land gingen und die Kopfschmerzen nicht aufhörten, machte ich mir schon Sorgen. Zwei Mal in meinem Leben habe ich bereits 12 Wochen Dauer(spannungs)kopfschmerzen gehabt, die aber irgendwie erträglich waren. Manchmal hatte ich wohl auch Migräne, die ich ignoriert habe und die sich aber mit Ibu 600 problemlos behandeln ließ.

    Anfang Februar 2015 habe ich dann einen Termin im WKZ Essen bekommen, wo die chronische Migräne mit Hilfe von Vorbefunden und einer langen Befragung diagnostiziert wurde. Das habe ich erstmal gar nicht angenommen, weil ich ja eben jeden Tag ganztags zur Arbeit ging und ich mir dachte, das kann dann so schlimm nicht sein. Zur Arbeit zu gehen wurde aber immer schwieriger, da ich nach der Arbeit oft bis zum nächsten Morgen flach lag.

    Mir wurden dann im WKZ Anfang Febr. 15 Antidepressiva oder ein Betablocker vorgeschlagen. Inzwischen war ich auch im täglichen Umgang sehr aggressiv und weinerlich geworden und dann sagten die Ärzte gerne: Die Frau hat Depressionen und kann sich an ihre Arbeitssituation nicht anpassen. Ich hatte wohl auch einen MÜK. Einen Monat lang habe ich mich geweigert, die Medikamente einzunehmen (auch für drei Tage Prednison), bis ich mich dann auf Amineurin 10mg abends einlassen konnte. Das hat den Schmerz etwas gelindert. Wehren tue ich mich gegen jede Form von Medikamenten bis heute.

    In der Tagesklinik im April 15 im WKZ habe ich dann auf 20mg Amineurin erhöht. Die beiden vorgeschlagenen Triptane, die es in der Apo ohne Rezept zu kaufen gibt und deren Name mir nicht einfällt, haben nicht richtig gewirkt. Ich lag immer häufiger flach. Mein Körper war fix und fertig, oft ging gar nichts mehr.

    Was die Ärzte bis heute nicht verstehen, ist, dass mit ich Amineurin zwar gut schlafe und deswegen nachts keine Kopfschmerzen mehr habe, aber morgens nicht aus dem Bett komme. Mehrfach wurde mir gesagt, ich solle auf 50mg erhöhen und diese erst gegen 22:00 einnehmen, obwohl ich 05:30 aufstehe. Mehrfach habe ich gesagt, ich vertrage die höhere Dosis nicht (hab ich wirklich mehrfach versucht). Mir wurde schwindelig und die Arbeitsleistung fiel noch mehr. Für AU’s hatte eben auch keiner der Beteiligten Verständnis – ich ja auch nicht! Chronische Migräne ist nicht so schlimm, dachten alle und ich auch. Die paar Kopfschmerzen – was soll’s. Die Betriebsärztin sagte, ich solle kündigen, weil ich ja wieder mal zu blöd bin, mich bei der Arbeit anzupassen. Unter Anderem hatte ich ihr gesagt, dass ich nicht mehr in der Lage sei, 39h zu arbeiten (öff. Dienst). Das geht ja gar nicht! Was für ein Verbrechen! In Ihrem Alter! Mein Arbeitsumfeld glaubte, ich bin bekloppt.

    Ab Februar 2015 habe ich PMR erlernt – nützte bis heute wenig bis nichts. Ich exmatrikulierte mich, weil klar war, dass gar nichts mehr gehen wird neben der Arbeit. Ich ruhte mich aus und tue bis zum heutigen Tag alles, was Experten empfehlen, um der Migräne vorzubeugen. Gekündigt habe ich auch! Wirklich besser geht es mir nicht.
    Ich sollte noch 600mg Magnesium nehmen, was ich aber auch nicht vertrage. Jetzt nehme ich 300 mg Migravent Classic – was anscheinend aber sinnlos ist.

    Leider war ich im Juni 2015 in einer Reha-Einrichtung mit Ärzten, die nicht wussten, was eine chronische Migräne ist. Das hat dazu geführt, dass ich starke Schmerzen bei den Sportübungen hatte – was ich mir natürlich einbildete, weil ich mich wieder nicht an meine Umwelt anpassen wollte.

    Im August 2015 willigte ich ein, 35mg Amineurin abends zu nehmen und Metoprololsucc. 23,75 morgens und abends. Seitdem kann ich nicht mehr rechnen, schnell denken, Leistungen erbringen, vieles fällt mir runter, ich kann mich an vieles nicht erinnern (obwohl ich ein hervorragendes Gedächtnis hatte) und ich habe ernste Wortfindungsstörungen. Ich tue Dinge, die ich noch nie in meinem Leben getan habe und verhalte mich völlig anders als in meinem bisherigen Leben. Ich sage zu allem ja und Amen, ich bin super angepasst und kann schon gar nicht mehr erkennen, wie ich vorher war. Meine Umwelt findet es hervorragend, dass ich nun angepasst bin und nicht mehr so schnell rede und sie überfordere.

    Erst half der Betablocker gut, aber nicht ausreichend (eine Erhöhung kommt nicht in Frage aus ärztlicher Sicht und möchte ich auch nicht), jetzt bin ich nur noch dick deswegen und er hilft mäßig.

    Anfang April 2016 bekam ich dann das erste Mal Botox. Die Spritzen waren und sind eine Zumutung für mich. Ich brach beide Male in Tränen aus. Ich glaube, eine Attacke ist mir fast lieber. Dazu muss ich sagen, dass ich hochsensibel bin und jedwede Art von Schmerz oder Berührung für mich ausarten kann, weil ich eben auch Ärzten nicht vertraue (neulich habe ich eine Spritze in den Rücken bekommen, woraufhin meine rechte Lunge kollabiert ist). Nach 6 Wochen dann erste Erfolge, ich fühlte mich besser. Wurde noch dicker trotz Bewegung. Betablocker und Amineurin nehme ich weiterhin zusätzlich.

    Dass ich zunehme, sei nicht so schlimm, man könne immer nur eine Sache im Körper behandeln. Ich sagte: ich war noch nie in meinem Leben dick und musste größere Kleidung kaufen und dies trägt nicht dazu bei, dass ich gesund werde. Scheiß egal! Hauptsache, diese Frau geht arbeiten und hört auf zu jammern.
    Seit ich die Medikamente nehme, hat die Schmerzintensität stark zugenommen. Die Attackenzahl stieg von vielleicht drei im Monat auf 11. Ich glaube nicht, dass das normal ist.

    Etwa ein Drittel meiner Attacken haben mit meiner Hormonstörung zu tun. Da ich schon zeitlebens meine Periode unregelmäßig bekomme, aber aufgrund einer anderen Krankheit keine Pille nehmen kann, kann man nichts tun, sagte die Frauenärztin. Ich habe jetzt einen Termin bei einem Endokrinologen gemacht. Vielleicht kann man ja doch etwas tun.

    Fast während der ganzen Zeit (ab Febr. 15) war ich trotz ständiger Schmerzen schwimmen – manchmal auch in den Attacken oder kurz danach, da das Ganze für mich mit einem Leben nichts mehr zu tun hatte. Zeitweise habe ich andererseits aber nur noch auf der Couch gelegen. Ich konnte meine Wohnung nicht aufräumen und putzen, nicht kochen, nicht ausgehen, kein Internet, kein Telefonat führen, keine Unternehmungen, kein Urlaub, kein Autofahren… Nichts. Aber: Arbeiten gehen ist wichtig!
    Seit einiger Zeit, mit dem Botox, fahre ich wieder Rad (damit der Speck runter geht – nützt leider nichts, ich bleibe dick, obwohl ich mich viel bewege). Ich habe auch dabei oft große Schmerzen bei holprigen Straßen, ganz zu Schweigen vom Aufsetzen des Radhelms und dem Zopf darunter. Seit ich Sport mache, kollabiere ich nicht mehr bei Attacken, sondern kann ganz normal weiterarbeiten. Außer mir sind alle super zufrieden. Besonders der Arbeitgeber.

    Ich habe versucht, den Betablocker abzusetzen, als ich mit dem Botox merkte, dass ich mich halbwegs wieder normal fühlte. Das gelang nicht. Ich finde das unnormal. Sofort kamen die Schmerzen wieder. Frage: wer braucht drei Medikamente, um halbwegs schmerzfrei zu sein? Ich kann nur den Schmerz ertragen mit diesen drei Mitteln (trotz leichtem Sport und PMR und Jobwechsel). Die Ärztin sagte neulich, wir können es später nochmal versuchen. ICH WEIß, dass die Schmerzen mit den Medikamenten immer häufiger kamen und schlimmer wurden.

    Schlimmer als die Krankheit ist, dass ich kein Leben führe, was einer 31jährigen entspricht. Treffe ich mich mit Menschen, die ich gerne habe, bekomme ich trotzdem Migräne. Ruhe ich mich aus, ebenso. Arbeite ich ganz viel und ruhe nicht aus – das Gleiche in Grün. Ich brauche nichts mehr zu planen und ich freue mich auf gar nichts mehr. Überallhin muss ich meine Medikamente mitnehmen. Verständnis haben nur Menschen, die selbst krank sind.

    In manchen Momenten bin ich so traurig, dass ich kotzen könnte. Selbst eine Therapie habe ich gemacht; das hat auch nichts in Bezug auf die Schmerzen gebracht. Einmal hatte ich jedoch ein Aha-Erlebnis: ich bekam wieder diese Art von Schmerzen während der Sitzung, bei der man das Gefühl hat, dass ein Blitz durch das Hirn zieht und man nicht mehr sprechen kann. Innerlich hat mich die Therapie schon aufgewühlt.

    Meine Heilpraktikerin hat mir mal etwas gegen die Hormonstörungen verschrieben, was ganz gut wirkte und die Schmerzen für kurze Zeit tatsächlich dämpfte.

    Ich weigere mich, die Medikamente ein- und die Krankheit anzunehmen. Ich weigere mich, zu akzeptieren, dass ich nun einen ziemlichen Bauch habe und mir kaum noch etwas passt. Es gab auch eine Zeit, in der ich zu mir sagte: jetzt ist das eben mal so. Du bist krank. Aber das zieht sich schon so hin, dass ich jeden Tag auf meinen Kopf einhämmern könnte und sagen möchte: du kannst mich mal gern haben. Noch mehr kotzen mich die doofen Tipps von Verwandten und Bekannten an…

    Mein Leben besteht immer noch ausschließlich aus dem Arbeitsalltag (wobei ich jetzt gerade einen Fernkurs belege). Was mir wirklich Spaß macht, kann ich nicht mehr tun. Ich bin nach der Arbeit extremst erschöpft, auch wenn alles okay dort war und ich positive Erlebnisse hatte. Ich habe einiges versucht, es ist mir nicht möglich, neben meiner Arbeit noch ein anderes, privates und normales Leben zu führen und schöne Dinge zu machen. Höchstens Lesen und ab und zu ein Film geht. Für mich ist das kein Leben.

    Vielleicht ist noch wichtig zu wissen, dass ich keinerlei Familie in meiner Nähe habe (500km entfernt) und viele Menschen, die mir am Herzen liegen, sehr weit weg wohnen oder weggezogen sind. Ich habe keine Kraft, ständig nach neuen Bekanntschaften Ausschau zu halten. Arbeit und Privates trenne ich strikt.

    Das war wirklich lang.
    Vielleicht kann mir jemand die eine Frage beantworten?

    BettinaFrank
    Verwalter
    Beitragsanzahl: 32266

    Hallo Annett,

    wir hatten ja in einem anderen Unterforum vor exakt einem Jahr bereits Kontakt und ich stelle leider fest, dass Du – so scheint es mir – in diesem Jahr keinen Schritt weitergekommen bist. Wut und das Nicht-Akzeptieren der Erkrankung sind nach wie vor da und schmälern Deine Lebensqualität.

    Zitat: “Ich weigere mich, die Medikamente ein- und die Krankheit anzunehmen. Ich weigere mich, zu akzeptieren, dass ich nun einen ziemlichen Bauch habe und mir kaum noch etwas passt. Es gab auch eine Zeit, in der ich zu mir sagte: jetzt ist das eben mal so. Du bist krank. Aber das zieht sich schon so hin, dass ich jeden Tag auf meinen Kopf einhämmern könnte und sagen möchte: du kannst mich mal gern haben. Noch mehr kotzen mich die doofen Tipps von Verwandten und Bekannten an…”

    Wenn Du Dich weigerst, eine andere, für Dich heilsamere, Haltung anzunehmen, wird sich nichts bewegen und in einem weiteren Jahr wirst Du uns hier wieder Dein Leid klagen. Willst Du das? Mehr habe zumindest ich dazu nicht zu sagen.

    Nur noch eins: Selbstverständlich gibt es Betroffene, die mehrere Medikamente benötigen, um schmerzfrei zu sein. Normal ist es nicht, dass die Schmerzen trotz Prophylaxe schlimmer werden, sondern es heißt nur, dass entweder die richtige Prophylaxe/die richtigen Prophylaxen noch nicht gefunden wurde(n), noch nicht lange genug getestet, oder nicht ausreichend hoch dosiert wurden. Dann einfach erneut Rücksprache mit dem Neurologen halten.

    Arbeite an Dir, aber an den Stellen, die wirklich nötig sind.

    Alles Gute,
    Bettina

    seemoewe
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 147

    Hallo Annet.
    Ich habe mit Entsetzen Deinen Bericht gelesen.
    Und kann nur Bettina Recht geben.

    Versuche an Dir zu arbeiten.
    Deine Situation kann ich teilweise nachvollziehen.
    Auch ich musste 6oo km von den Verwandten weg ziehen und dann begannen meine Migräne/Kopfschmerze/ Bauchschmerzen etc.
    Mit 4o war ich mal am Ende, 3 Monate krank geschrieben.
    Was ich wichtig finde für dich wäre eine gute Psychotherapie.
    Die habe ich auch gemacht, aus Wut heraus.
    Denn Wut macht Mut. !!!!
    Klar wird man wütend wenn man keinen Ausweg mehr findet.
    Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich damals die 6oo km zur Familie zurück gezogen.

    Vielleicht gibts dir nen Schupps.. Ich wünsche es dir von Herzen.
    LG. Seemoewe

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