Wege und Irrwege im Kampf gegen Migräne

Wege und Irrwege im Kampf gegen Migräne

Willenskraft, Ignoranz (der Migräne gegenüber), Kampfgeist

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  • BaluForKanzler
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    Beitragsanzahl: 53

    Hallo Ihr alle,

    Meinen “missglückten Versuch”, die Migräne in den Griff zu kriegen, haben wahrscheinlich alle Betroffenen hinter sich und sehen es als so selbstverständlich an, dass es niemand hier für erwähnenswert hält. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich “erst” seit ein paar Jahren Migräne habe und an der ersten gescheiterten Hürde immer noch mächtig zu knabbern habe.

    In meinem bisherigen Leben habe ich immer alles mit Willenskraft geschafft. Alles was ich erreichen wollte, habe ich mit mehr oder weniger viel Energieaufwand geschafft. Auch Krankheiten – und damit meine ich nicht nur Schnupfen – habe ich immer auf diese Weise bezwungen. Manche Probleme habe ich lösen können durch Kampfgeist, manche auch durch Ignorieren, d.h. ich habe einfach erstmal meinen normalen Alltag weitergelebt und die Krankheit weitestgehend ignoriert, bis sie sich dann irgendwann in Wohlgefallen aufgelöst hat.

    Tja, und dann kam vor einigen Jahren die Migräne. Mittlerweile habe ich alle meine Strategien durch und keine hat funktioniert. Und zum ersten Mal in meinem Leben muss ich mich beugen und bekennen: Ich bin nicht stark genug. Dagegen komme selbst ich nicht an. Das heißt, zu dem Verlust an Lebensqualität, den man durch die Krankheit ohnehin schon hat, kommt auch noch der Verlust an Selbstwertgefühl hinzu, weil man versagt hat – unterstützt durch die Umwelt, wo kaum einer verstehen kann, dass man “nur” wegen Kopfschmerzen so einen Aufstand macht.

    Viele Grüsse, BaluForKanzler

    Julia
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 8514

    Hallo Balu,

    ob Willenskraft, Kampfgeist und Ignoranz wirklich gute Migränetherapeutika sind ?
    Und auch, ob die anderen Krankheiten, die du auf diese Weise kuriert zu haben meinst, dadurch wieder verschwunden sind, ist ja noch die Frage.

    Ich denke, bei Migräne reibt man sich auf, wenn man es so versucht.

    Meine ” bisher lebenslange 😉 ” Erfahrung mit diesem Übel hat mich gelehrt, Anderes dagegen einzusetzen.
    Erst seit ich gelernt habe, die Migräne ( die ersten 26 Jahre nicht so genannt, weil nicht erkannt) zu ertragen, dann zu tolerieren und schlussendlich zu akzeptieren, geht es mir deutlich besser damit. Das heißt nicht, dass ich weniger oder leichtere Anfälle “mein Eigen” nennen darf. Aber jetzt sind es nur noch die einzelnen Attacken, die aufreibend sind und nicht mehr die Angst vor weiteren Anfällen.

    Der dafür zu erbringende Aufwand an Willenskraft und Kampfbereitschaft ist viel geringer als für einen immerwährenden Dauerk(r)ampf. Ein gewisse Ignoranz dem Geschehen gegenüber scheint mir allerdings von Vorteil.
    Insgesamt scheint mir meine Methode weniger kräftezehrend zu sein, so dass noch viel Kraft übrig bleibt für Lebensfreude und Selbstwertgefühl.

    Und nun zum “Umweltgedanken”: Es ist unsere Migräne, nicht die der Anderen. Und noch dazu eine Erkrankung, die in ihrer Vielfältigkeit ja auch von uns nicht gänzlich verstanden werden kann. Wie sollen sie da andere, die sie nicht aus eigenem Erleben kennen, verstehen ?

    Bei Menschen, die mir sehr wichtig sind, versuch ich schon, diese sonderbaren “Nebenwirkungen”, die wir ja außer dem reinen starken Kopfschmerz haben, zu erklären. Bei den anderen ist es mir fast egal, was sie denken.

    Was mir dabei zugute kommt: ich hatte sehr viele Jahre Zeit, zu diesen Erkenntnissen zu kommen ;).

    Ich wünsche allen, dass sie die gleiche Ruhe und Entspanntheit erlangen, wie ich sie habe. Das macht den Umgang mit uns selbst und unserer nicht immer leicht zu ertragenden Erkrankung, deutlich einfacher.

    Liebe Grüße
    Julia

    PS ich habe fast immer zwischen 10 und 20 Tage Migräne pro Monat. Also keine “Migräne light” !

    Und ganz wichtig ist es natürlich auch, sich so viel Wissen wie irgend möglich über eine gute
    Anfallkupierung oder -milderung anzueignen.

    alchemilla
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 3995

    dito.
    Genau so!
    Zuallererst steht an, dass man Attacken gründlich und ohne zu zögern mit einem ordentlichen Medikament begegnet.
    Alles Probieren mit mentaler Kraft oder mit Entspannung oder mit schlichter Hoffnung, dass es wieder aufhört, führen nur dazu, dass Attacken unerträglich werden und das dann viel zu spät genommene Medikament nicht wirklich richtig wirkt. Und dann ist es sehr schwer, seinen Frieden zu finden.

    Aber in der Einstellung ist es viel wichtiger, dass man sich gegen diese Migräneanfälligkeit nicht auflehnt und damit hadert.
    MICH zwingt jede Attacke, den Gang rauszunehmen und mich herunterzuregulieren. Ich MUSS dann halblang machen, was immer ich anfange und dann tue ich genau DAS mit aller Macht.
    Dann wird eben abgesagt oder es wird sich zurückgezogen zum Augen-Schließen und und und. . ..
    Vielleicht ist es dieses Durchpowern, was der Körper einfach eben nicht mehr KANN. Und dann ist es kontraproduktiv, es dennoch zu verlangen.

    Mach lieber deinen Frieden mit deinem Körper, der nicht der eines Herkules IST.
    Vermutlich macht es dich sogar noch viel wertvoller, wenn du nun lernst, auch Weichheit und auch die Erfahrung von Scheitern in deine Persönlichkeit zu integrieren.
    Mit Sicherheit wirst du liebenswerter.

    Wenn die Leute das nicht verstehen, dass Migräne einen so umhaut, dann sprich von “entzündeten Hirnhäuten” Damit lügst du nicht, aber es klingt viel beeindruckender.

    LG
    alchemilla

    sonja
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 248

    Hallo an Alle,

    Auf die Idee von “entzündeten Hirnhäuten” zu erzählen muss man erst mal kommen, werde mir das merken. 😉

    Liebe Balu,

    Wenn Du früh erkennst, dass Dich eine Migräneattacke umzuhauen droht, handle sofort, das ist keine Schwäche, sondern kann im Gegenteil verhindern, dass es Dir schnell noch schlechter geht. Ich halte es auch so.

    LG

    Sonja

    alchemilla
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 3995

    Hi, Sonja. Ich habe das aus den Vorträgen von Prof Göbel und auch n seinem Buch steht das als mögliche Erklärung für Migräne

    Ich finde, wenn die Leute Vorurteile bzgl Migräne haben, dann kriegen sie eben etwas anderes serviert.
    Es geht auch “chronische Kopfschmerzen” oder “Gefäßentzündungen” oder so.
    Von Migräne spreche ich nur bei Leuten, die wissen oder ahnen, wie schrecklich das ist.
    LG
    alchemilla

    alchemilla
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 3995

    Balu, fühlst du dich auch als Versager, wenn du ein Gewitter nicht aufhalten konntest und der Blitz in deine Wohnung einschlägt?
    Ich meine: manche Dinge SIND unbeeinflussbar. Und deine genetische Veranlagung zu Migräne gehört dazu. Die kannst du nicht beseitigen.
    Das demütig anzuerkennen, ist nur sinnvoll.

    sonja
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 248

    ok danke, alchemilla,

    BaluForKanzler
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 53

    Hallo Ihr Lieben,

    Vielen Dank für die rege Beteiligung. Ich werfe einfach mal ein paar Antwort-Brocken hin, wie sie mir gerade in den Sinn kommen.

    @ Julia: Ich habe auch etwa 20 Migränetage pro Monat, der Rest ist Spannungskopfschmerz. Wie schaffst Du es nur, das so gelassen hinzunehmen? Ich finde es – sorry – zum Kotzen, wenn ich durch diese Krankheit mehr als zwei Drittel des Monats gezwungen werde, etwas zu tun, was ich gar nicht will. Ich will nicht dauernd im abgedunkelten Raum liegen, die äußeren Reize reduzieren und mich zurücknehmen, während draußen das Leben tobt. Da kann ich mir auch gleich ein Loch buddeln. (Schnief, ich weiß, ich bade mal wieder im Selbstmitleid. Mir wurde gesagt, dass das hier erlaubt ist.) 😉

    @ Alchemilla: Das Scheitern akzeptieren, nicht hadern, einen Gang zurückschalten und so weiter, ist bis zu einem gewissen Grad ja schön und gut. Nur wenn einen die Krankheit so dermaßen lahmlegt, dass man für Familie, Freunde, Arbeitsmarkt, Nachbarn, Hobbys und ähnliches gar nicht mehr existent ist, dann ist für mich die Sinngrenze erreicht. Ich bin jetzt seit einem Jahr krankgeschrieben, habe Berufsunfähigkeitsrente beantragt und es geht in keine Richtung irgendwie weiter. Die Versicherung sträubt sich, macht ein schwachsinniges Gutachten nach dem anderen, und mir fehlen Geld und Kraft, mich entsprechend zu wehren. Noch ein halbes Jahr bekomme ich Krankengeld und dann bin ich ohne Einkommen. Da fällt das mit dem “Frieden schließen” nicht ganz einfach unter einem solchen Existenzdruck. Und die Gutachter machen natürlich alle genau das Gegenteil von dem, was wir hier gerade versuchen. Die machen einen fertig, stellen einen als Drückeberger hin, glauben einem seine Symptome nicht und behandeln einen wie einen Sozialschmarotzer. Andere gehen auch zur Arbeit, wenn sie sich mal nicht gut fühlen und sie wollen gleich in Rente gehen?! Das zieht einen runter, Leute, das könnt ihr Euch gar nicht vorstellen. Was ich damit sagen will: Selbst wenn ich mir diese Gelassenheit gestatten könnte, so gestattet sie mir die deutsche Bürokratie noch lange nicht.

    @ Sonja: Du schreibst, Du handelst sofort, wenn Du merkst, dass eine Attacke im Anmarsch ist. Wie machst Du das denn, wenn Du gerade an der Arbeit bist und einfach nicht weg kannst? Oder wenn Du Dich in irgendeiner Situation befindest, wo es eben nicht sofort möglich ist, alles stehen zu lassen, um Dich in einem dunklen Raum hinzulegen und Deine Medikamente zu nehmen? Die Attacken kommen doch nicht immer passend. Einer der Gutachter kam bei mir auch zu dem Schluss, dass ich eine Viertelstelle machen könnte. Mal abgesehen davon, dass er mir mal erklären müsste, wie ich davon leben soll, werde ich im Falle eines Widerspruchs genau dieses Argument bringen: Natürlich kann ich eine Viertelstelle machen. So viel “freie” Zeit bleibt mir durchaus. Wenn ich vorher wüsste, wann die Attacken kommen, könnte ich problemlos die Arbeitszeit drumherum organisieren. Aber das ist ja genau die Schwierigkeit einer Anfallserkrankung. Sie tritt anfallsartig auf. Und man weiß eben nicht, wann und wann nicht, und insofern kann man Termine nie verbindlich planen.

    Danke fürs Lesen und viele Grüße. BaluForKanzler

    Julia
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 8514

    Liebe Balu,

    mir fällt dazu eigentlich nur noch ein, dass du ein besseres Anfallsmanagement brauchst. Und zwar dringend.
    Bettina hat dir doch schon im Laufe der Zeit Tipps zu den Triptanen gegeben.

    Ich geh seit vielen Jahren so vor, dass ich sofort Imigran spritze ( auch schon mal während der Fahrt auf einer Autobahn in der Türkei 😉 ) und dann sofort ein längerwirkendes Triptan dazu schlucke. Und wenn es sehr heftig anfängt, gibts auch gleich noch 5oo mg Naproxen dazu. Ja und dann nehme ich auch schon mal am 3. oder 4. Tag einen Kortisonstoß ( 20 bis max. 50 mg) dazu. Sonst werden es meist 7 Tage am Stück.

    Ich spritz immer und überall, allerdings in den Speck seitlich an der Hüfte oder Bauch, nicht in den Oberschenkel. Tut nicht so weh und man kommt, auch in der Öffentlichkeit, leichter ran.
    Dieser Medicocktail wird sicher von den Ärzten nicht favorisiert, hat mir aber bisher sehr geholfen und zum Glück auch nicht geschadet.

    Auch wenn es nicht immer gleich gut hilft, ich habe zumindest das Gefühl, das Heft in der Hand zu haben und nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Mit dem gespritzten Sumatriptan und den anderen Medis schaff ich es zumindest schmerzarm und nicht völlig fertig durch den Tag zu kommen.

    Ich drück dir die Daumen, dass auch du einen Weg für dich findest.

    Liebe Grüße
    Julia

    sternchen
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 4957

    Liebe Balu,
    alles ist richtig was Du schreibst,
    und doch auch wieder nicht.
    Wir finden es alle zum K….tzen, das wir Migräne haben.
    Aber Julia möchte Dir nur sagen, dass es Dir nicht helfen wird dagegen anzu kämpfen. M. E. hat Sie Recht. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, und sage: Du machst alles nur noch schlimmer.

    Auch Alchemilla will Dir nur sagen, dass Du gegen Gewitter nicht ankämpfen sollst. Du vergeudest Deine Kraft. Und wenn es noch so viel Widerwillen in Dir erzeugt. M.E. hat Alchemilla Recht. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, und sage: Du änderst die deutsche Bürokratie nicht, Du reibst Dich nur auf.

    Und auch Sonja will Dir doch nur sagen, dass Du zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Mittel einsetzen sollst, um gegen die Attacken vorzugehen. So hast Du mehr Möglichkeiten die Attackenzeiten zu reduzieren. M.E. hat Sonja Recht. Ich gehe sogar soweit, und sage: wenn Du Deine Kraft für die Suche nach einem gut durchdachten medikametösen Konzept, bestehend aus Prophylaxe, Akutmedikation und Lebensstil einsetzt, wirst Du Deinem Ziel ein großes Stück näher sein, als Du glaubst.
    Lieber Gruß
    Sternchen

    alchemilla
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 3995

    Balu, das leuchtet mir ein, was du mir geschrieben hast.
    Aber als ich das von deiner “Willenskraft” gelesen habe, da habe ich fast schon Migräne gekriegt. So eine Willenskraft macht einen wahnsinnigen Druck und klingt nach “Mauern einrennen” oder sowas, was man mit Willen gar nicht packen KANN.
    Was ist seit zwei Jahren sonst anders als vorher, dass du “plötzlich” so viele Attacken hast?

    BaluForKanzler
    Teilnehmer
    Beitragsanzahl: 53

    Hallo Ihr alle,

    @ Julia: “Ich spritz immer und überall, allerdings in den Speck seitlich an der Hüfte oder Bauch,”
    Was denn für ein Speck, bitteschön?! Tss, tss, also wirklich …
    (Meinst Du vielleicht diese wabbeligen Röllchen an den Seiten direkt über der Cellulitis?) 😉

    @ Sternchen: Natürlich ändere ich die deutsche Bürokratie nicht. Aber ich bin auf sie angewiesen, um wenigstens finanziell irgendwie zu überleben. Das ist ja genau mein Problem. Sonst könnte ich mich auch ganz entspannt in meinem Sessel zurücklehnen. Aber mit Existenznot im Nacken kann ich das nicht. Man braucht eben nicht nur ein vernünftiges medikamentöses Konzept und eine entsprechende Lebensführung, sondern auch die wirtschaftliche Seite muss geklärt bzw. abgesichert sein, sonst nützt die ganze schöne Theorie nichts.

    @ Alchemilla: “Als ich das von deiner “Willenskraft” gelesen habe, da habe ich fast schon Migräne gekriegt.”
    Danke für den Spruch, ich habe herzlich lachen müssen.

    Ich kann Dir Deine Frage, was seit zwei Jahren plötzlich anders ist, nicht beantworten. Wie Du Dir sicher denken kannst, bist Du nicht die erste, die diese Frage stellt und ich habe selber schon so unendlich viele Stunden darüber nachgegrübelt, was seit dem 27.4.2010 anders ist. Das ist nämlich der Tag, an dem alles anfing. Es war ein stinknormaler Dienstag, an dem nichts, aber auch wirklich gar nichts anders war als sonst. Auch die Tage oder Wochen davor waren sowas von normal und unaufregend, wie es nur sein kann. Es ist und bleibt irgendwie mysteriös und unbefriedigend. Vielleicht bewahrheitet sich ja doch noch die Weisheit meiner Oma “Es ist von alleine gekommen, es wird auch von alleine wieder gehen.” Hm, naja, und nur für den Fall, dass dem nicht so ist, habe ich vorsichtshalber schon mal Rente beantragt. 😉

    Viele Grüsse, BaluForKanzler

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